TRANSGRESSION
“Die Erotik ist eine innere Erfahrung. Sie führt zu nichts.” Das ist Punkt 16 von 20 auf der Liste “TRIEBfest”, die die Schauspielerin in “Transgression” (übrigens Punkt 20 auf der Liste) wie Flugblätter über jeden Tisch der Kantine in den Sophiensaelen schleudert. Davor krallt sie sich minutenlang am Tisch fest, auf dem sie liegt. Ihr Blick ist kopfüber zum Publikum gerichtet. Dauerschleife: Gebetsmühlenartig sagt sie Punkt 16 auf, während sie ihr Gesäß immer wieder auf die Tischplatte knallt: “Die Erotik ist eine innere Erfahrung. Sie führt zu nichts.” Als würde sie sich selbst bestrafen. Zitat “TRIEBfest”: “Lebt Eure Triebe aus.” (as)
100Wort! vom 01.03.2015
https://100grad.wordpress.com/2015/03/01/plattensprung/
TRANSGRESSION
"Ihre Kollegin Marie Golüke macht eine kompromisslose Body Art Performance, inspiriert von Georges Batailles Satz: „Die Erotik ist eine innere Erfahrung. Sie führt zu nichts.“ tanznetz vom 06.07.2014
https://www.tanznetz.de/blog/26504/spieler-kunst-und-einsatz
EROTISM
“Lebt eure Triebe aus”, verlangt das “Triebfest” der Künstlerin. Es/Sie fordert “Transgression”. Das Theater wird zu einem Schauplatz des Zuviel und der Überforderung. Peinlichkeit verbreitet sich. Ich beobachte Spielarten ihrer Verblendung an wie zu einem Tanztee arrangierten Tischen. Die Skizze eines Provisoriums. Da steht ein Regal. Ausrisse kleben an der Wand. Eine nackte Frau wechselt auf einem Bildschirm das Gesicht und die Figur. Golüke hat ihre Magisterarbeit über “Erotik auf der Bühne” geschrieben. Sie “kommt aus der Fetischszene”. Sie sagt: “Es gibt zwar eine medizinische, aber keine philosophische Beschäftigung mit Erotik.” In ihrem “Triebfest” wird “eine Opferbereitschaft” angeregt im Gegenzug für “den kleinen Tod als Lebenselixier”. Golüke knallt minutenlang ihr Becken auf eine Platte, die so zu einem Assoziationsmonster zwischen Kopulationsstätte, Gymnastikmatte und Gynäkologenstuhl aufsteigt. Golüke unterscheidet in ihrer Arbeit performative von theatralischen Aspekten, sie führt ihren Körper an Belastungsgrenzen. Sie erzeugt knallharte Redundanz - die Irritationen eines Geburtsvorgangs - eine pädagogische Wirkung - einen Auslieferungsvorgang." von Jamal Tuschick in der Freitag vom 15.05.2016
https://www.freitag.de/autoren/jamal-tuschick/skizze-eines-provisoriums
EROTISM
"Lesungen, ein kurzer Filmeinspieler, eine Talkshow aus der Büchse und eine schöne Beteiligung des Publikums, die zu einer wunderbaren Inszenierung mit der schließlich doch ganz nackten Marie Golüke führte, beschlossen die erotische Performance, die uns Grenzen zeigte und sie zugleich überschritt, wie sie infrage stellte. Eine starke, sehr präsente Marie trägt diese Performance, die zum nachdenken sicher anregte, aber weit darüber hinaus auch eine seltsam erotische Spannung schuf, von der sich mancher noch fragt, ob sie sich wieder auflöst, wenn wie und worin und wo die Erotik letztlich bleibt. Können wir uns der Erotik intellektuell nähern oder ist schon dieser Vorgang absurd?
Was löst die intellektuelle Auseinandersetzung mit Erotik in uns aus?
Zum Abschluss die Beschreibung der Performance von deren Facebookseite, die den Anspruch sehr schön beschreibt, um den es in dieser Performance geht, die ein sehr empfohlenes Erlebnis ist, wer kann, gehe hin und verkleide sich in Abendgaderobe, der Stimmung wegen, es lohnt sich und Marie Golüke ist immer wieder stark und beeindruckend. "
von Jens Tuengerthal vom 14.5.2016
http://flaneurgedichte.blogspot.com/2016/05/theatererotik.html?m=1
SHAME
“Gleich zu Beginn ihrer neuen Soloperformance »SHAME« lässt sie das enge Gefühl von damals noch einmal in den Körper kriechen. Nicht von vornherein nackt – denn Nacktheit funktioniert manchmal wie ein Kostüm –, aber nur mit einem dünnen weißen Overall bekleidet, nimmt sie auf der kleinen Bühne des Rationaltheaters dicht vor dem Publikum Posen der Erniedrigung ein. (…)” Münchner Feuilleton, 23.4.17
http://muenchner-feuilleton.de/2017/04/23/shame-marie-golueke/
SHAME
“Shame”, ein aufregendes Solo von Marie Golüke. Für ihre Verhältnisse ist ‘Shame’ fast ein zurückhaltender Abend. (…) Aber sie spielt, verkörpert mit Gesten und Haltungen alle Arten der Scham. Sie verbirgt ihr Gesicht hinter den Händen, schlägt die Arme um ihre Schultern, richtet fahrig ihre Haare. Videos flackern kurz über die Bühne, Traumbilder, explizite Splitter von Aufnahmen ihrer selbst. Sie zieht eine halbdurchsichtige Gummimaske über, wiederholt die Gesten, wird offensiver, zitiert Sachen, für die man sich schämt, Hitlergruß und die Lust am eigenen Körper, zieht sich keusch aus, zieht ein weißes Hemd an, malt sich Schamesröte ins Gesicht. Und spricht. Golüke spricht über Schamlosigkeit und Schamfreiheit, über Kindheit, auch Erziehung, gesellschaftliche Determination, die Gedanken mäandern (…) Golüke ist sehr konzentriert, will zum Denken anregen. Vor dem Hintergrund, wie sie sich zuvor selbst präsentierte, wird das Reden unterfüttert von der Präsenz ihrer Person, werden die Worte zur Interpretation des Vorangegangenen. Und es passiert etwas sehr Grandioses bei diesem Solo, für das Golüke Förderung in Hamburg und München erhielt (…) Golüke fragt das Publikum, sehr direkt, sehr freundlich - und alle öffnen sich. Die Menschen reden über Scham und Scheu, erzählen sehr persönliche Dinge, reden miteinander. Mit ihrer Selbstdarstellung schafft Golüke den Rahmen, innerhalb dessen sich die Zuschauer trauen, öffentlich zu reden. Das geht nach der Vorstellung weiter.“ Süddeutsche Zeitung, 22.3.17
https://www.sueddeutsche.de/kultur/kurzkritik-gedanken-maeandern-1.3431378
SHAME
…) Entsteht Scham nur in der Konfrontation mit einem Versagen? Steht sie allen Gesellschaften als Regulativ zur Verfügung? Wird sie von Tieren empfunden? Gab es sie in der Steinzeit? Fühlt sie sich für Frauen anders an als für Männer? Wie verhält sich die Scham zur Schuld? Darüber denkt Marie Golüke in einem solistischen Spiel nach. (…) Sie folgt den Konturen sexueller Schamränder, sie weist hin auf Intimitätsscham. Sie erwähnt das Programm der erotischen Gefangennahme. Plötzlich kehrt die Performerin aus der Simulation einer privaten Situation zurück auf den Rummelplatz öffentlicher Ansichten. Sie imitiert weibliche Animation und die Verwandlung von Ohnmacht in (narzisstische) Wut. Sie zeigt den Abstieg von der triumphalen Thronbesteigung (in der Ära der Töpfchenkultur) zum verschwiegenen Klogang. (…)“ Der Freitag online, 13.5.17
https://www.freitag.de/autoren/jamal-tuschick/routinen-der-schamverbergung
INSTINCT
„Marie Golüke setzt den eigenen Körper als Material ein und seziert die verschiedenen gesellschaftlichen Fesseln und Schranken, welche Frauen von ihren Instinkten entfernen. Ihre Choreographien sind mutig, da sie das Themenfeld Sex längst angesprochen hat, dann sich sinnlich in den Raum bringt und den Zuschauenden zutraut, selbst in die Tiefe zu blicken. In ihren Texten spricht sie hoch aktuelle Themen an. Sie zeigt, wo Instinkt und Gesellschaft koexistieren oder sich ausschließen. Damit enttarnt sie die Doktrin, welche das Tier erniedrigt und den Menschen ins Zentrum stellt: das einzige Lebewesen, das seine Instinkte unterdrückt hält oder ausblendet – und das seinen eigenen Lebensraum zerstört.“ Tanznetz.de , 25.01.2019
INSTINCT
“Instinct” ist der abschließende Teil einer Trilogie, die Marie Golüke über Jahre hinweg entwickelt hat. Eine Trilogie der “Basismotivationen”. Der erste Teil heißt “Erotism”, der zweite “Shame”, beide waren vor zwei Jahren schon einmal in München zu sehen, im Rationaltheater und im Pepper. Allen drei Teilen ist eines gemeinsam: Sie wühlen das Publikum auf. Nach den Vorstellungen reden wildfremde Menschen miteinander über Sachen, die sie sonst niemandem anvertrauen. Golüke öffnet Menschen, indem sie schonungslos zu sich selbst ist. Sie trifft eine Sehnsucht ihrer Zuschauer nach dem, was in einer durchrationalisierten Gesellschaft verloren zu gehen droht. Triebe, Gefühle, Emotionen. Und eben Instinkte.
Süddeutschen Zeitung, vom 12.04.2019